Die Comuna 13 hat spätestens seit dem Erfolg der Netflix-Serie “Narcos” traurige Berühmtheit erlangt und ist jetzt auch außerhalb Kolumbiens allgegenwärtig. Ihre Geschichte ist düster, blutig und lädt nicht unbedingt dazu ein, dass man die Comuna 13 besuchen möchte.
Als wir in Medellín waren, wollten wir jedoch auch der Comuna 13 einen Besuch abstatten. Anfangs hatten wir Bedenken, ob das moralisch so vertretbar ist und wie es sein wird. Ist es gefährlich? Wie werden uns die Bewohner der Comuna 13 begegnen? Viele Fragen, die sich uns gestellt haben und auf die wir nun eine Antwort haben.
In diesem Beitrag teilen wir unsere Erfahrungen mit dir und hoffen, dir so einen kleinen Einblick geben zu können, sowohl in die Geschichte als auch in die jetzige Situation der Comuna 13.
Die Comuna 13 damals…
Die Comuna 13, deren öffentliche Bezeichnung San Javier lautet, ist eine von 16 Comunas (= Stadtteile) in der zweitgrößten Stadt Kolumbiens Medellín. Medellín ist von Bergen umgegeben. Im Westen der Stadt schmiegt sich die Comuna 13 an die steilen Berghänge. Alles ist dichtbebaut und die Comuna 13 gilt als eine der am dichtesten besiedelten Stadtteile.
Durch ihre Lage war die Comuna 13 seit jeher wichtiger Dreh- und Angelpunkt. Egal was geschmuggelt werden musste, es kam über die Comuna 13. Durch den Zugang zu der Hauptroute, die zu den Häfen im Pazifik führt, war die Comuna 13 Gold wert – egal ob für den Drogen- oder Waffenhandel. Es scheint also nicht verwunderlich, dass das Viertel beliebt war unter den Drogenkartellen und co.
In den 80er Jahren herrschte der Drogenbaron Pablo Escobar über Medellín und insbesondere über die Comuna 13. Aufgrund der Beliebtheit des Viertels, herrschte ein ständiger Kampf zwischen den Drogenkartellen um die Vorherrschaft. Dies ging Hand in Hand mit Morden, Entführungen, Korruption und allgemeiner Gewalt. Die Zivilisten der Comuna 13 waren angsterfüllt, eingeschüchtert und trauten sich kaum auf die Straße. Die hohe Arbeitslosenquote machte es den Kartellen einfach junge Männer “anzuwerben” für das dreckige Geschäft. Sie arbeiteten dann als Drogendealer, Spitzel oder sogar Auftragskiller. Die Comuna 13 rutschte sozial immer weiter ab und an ein normales Leben war nicht zu denken.
Die Comuna 13 galt weltweit als eines der gefährlichsten Viertel in der gefährlichsten Stadt. Zwischen 1980 und 1991 verzeichnete Medellín mit knapp 400 Morden auf 100 000 Einwohner die angeblich höchste Mordrate der Welt.
Das Viertel war gefürchtet. Niemand kam es in den Sinn freiwillig in die Comuna 13 zu gehen. Ein Kolumbianer erzählte uns, dass selbst die Taxifahrer alle Fahrten nach San Javier ablehnten.
Laura, mit ihr haben wir eine Tour durch die Comuna 13 gemacht, ist in San Javier aufgewachsen. Sie erzählte uns, dass es an der Tagesordnung war auf dem Weg zur Schule oder auf dem Heimweg über Leichen zu steigen. Leichen lagen einfach überall rum. Die Comuna 13 war ein Kriegsgebiet, in das sich schon bald nicht mal mehr die Polizei traute.
Nach Escobars Tod eskalierte die eh schon schreckliche Situation weiter. Die Guerilla, Paramillitärs und die Farc umkämpften das Gebiet extrem. Bis 2002 war die Guerilla dann in dem Stadtviertel präsent – das letzte Stadtviertel in ganz Kolumbien, welches noch von der Guerilla kontrolliert wurde.
Operación Orión
2002 wurde dann die wohl brutalste Militäroperation in der Comuna 13 durchgeführt. Ziel war es die Guerillakämpfer zu vertreiben und das Stadtviertel zu “reinigen”. Zwei Hubschrauber, mehrere Panzer und bis zum Hals bewaffnete Soldaten mit der Unterstützung des Paramilitärs nahmen das Viertel unter Beschuss. Es wurde auf alles geschossen, was sich bewegte. Vier Tage herrschte hier kompletter Ausnahmezustand und zu den Opfer zählten vor allem Zivilisten. Die Guerillakämpfer zogen sich bereits Tage vor dem Angriff in die Berge zurück. Was blieb waren mehrere Tote, unzählbar viele Verwundete und 300 Verschwundene, die bis heute vermisst werden.
Während der brutalen Auseinandersetzungen baten die Anwohner um eine Feuerpause. Sie schwangen weiße Bettlaken und Taschentücher doch der Alptraum sollte 4 Tage andauern und etliche Opfer fordern.
Um die Tötung der Zivilisten irgendwie zurecht fertigen, zogen die Soldaten den Leichen nachträglich die Uniformen der Guerillos an.
Die Leichen und auch die Verschwundenen werden auf einer Bauschuttdeponie, die vom Viertel aus gut zu sehen ist, vermutet. Laura hat uns die Deponie gleich zu Beginn gezeigt. Sie liegt am Berghang und ist überall von der Comuna 13 aus gut sichtbar. Die Bewohner und Angehörigen kämpfen seit Jahren für eine Aufklärung – leider ist diese nicht in Sicht.
Die Comuna 13 heute…
Die Comuna 13 hat sich verändert und ist von einem der gefährlichsten Viertel zu einem Viertel im Aufschwung geworden.
Überall begegneten wir außerordentlich herzlichen Menschen, Kinder spielen Fußball zwischen den eng gebauten Häusern, irgendwo dröhnt laut Reaggemusik und bunte Graffitis schmücken die Häuserwände.
Es war für uns schwer vorstellbar, was sich hier noch vor ein paar Jahren abgespielt haben muss. Während wir ein Eis aßen und Kaffee tranken, schlenderten wir von einem Graffiti zum Nächsten. Jedes Graffiti hat seine eigene Geschichte und ist die Art der Anwohner die grausame Geschichte zu verarbeiten. Die Murals sind auffallend bunt und so ziemlich in jedem wird der Frieden thematisiert.
Steht man am Sportplatz in der Comuna und blickt dem Berghang hinauf, erkennt man das einige Häuser bunt bemalt sind. Die bunten Häuser ergeben zusammen ein Herz. Ein Zeichen von Hoffnung, Frieden, Zusammenhalt & Liebe.
Doch wie hat die Comuna 13 diesen merklichen Wandel geschafft?
Die kolumbianische Regierung hat investiert und verschiedenste Förderprogramme tragen nach und nach zur Resozialisierung des Stadtteils bei.
Es gibt nun Spiel- und Sportplätze in dem Viertel.
Die HipHop und Streetartkultur wird gefördert und viele der Jugendlichen tanzen sich auf der Straße das Herz aus der Seele.
Das Stadtviertel ist an das öffentliche Nahverkehrssystem angebunden. Mit der Metro kann man bis zur Station “San Javier” fahren und von da aus weiter mit dem Bus in das Stadtviertel hinein. Außerdem gibt es auch die Seilbahn, die über das Stadtviertel schwebt. So ist die Comuna 13 zu einem der best erreichbarsten Stadtviertel geworden und ermöglicht den Anwohner unkompliziert und günstig die Fortbewegung innerhalb und außerhalb des Viertels.
Ein richtiger Meilenstein, der international von vielen Medien gefeiert wurde, sind die Freiluftrolltreppen. Die Comuna 13 hat den Zuschlag für dieses Sozialprojekt bekommen und seit 2011 sind die Rolltreppen fester Bestandteil des Stadtviertels. Sie schlängeln sich weit nach oben in das Viertel und sind perfekt integriert. Die sechs Rolltreppenabschnitte erleichtern vor allem den Älteren Bewohnern den Zugang zu ihren Häusern, die oftmals am steilen Hang gebaut sind.
Außerdem haben die Rolltreppen Arbeitsplätze geschaffen. An jedem Abschnitt stehen 1-2 Anwohner des Viertels, um sicherzustellen, dass nichts kaputt geht oder einfach um Passanten zu helfen. Laura sagt, dass die Rolltreppen auch ein stückweit den Frieden zurück ins Viertel gebracht haben.
Das Viertel und Medellín sind für viele Städte zu einem Vorbild geworden und darauf sind sie stolz.
Wir haben den Wandel spüren können, auch wenn wir keinen Bezug zu der grausigen Vergangenheit haben. Dennoch ist es alles eine Frage der Zeit und nach und nach wird die Comuna 13 sicherlich noch sicherer und wahrscheinlich sogar zu einem richtigen Touristenmagneten. Das ist zumindest das was sich die Einwohner wünschen. Denn Touristen und die, die Interesse an der Geschichte haben, besuchen das Viertel & lassen es so nicht in Vergessenheit geraten.
Eine Tour durch die Comuna 13?
Oft haben wir im Internet gelesen, dass von einem Besuch grundsätzlich abgeraten wird. Wir haben uns deshalb für eine geführte Tour entschieden.
Wir sind mit Laura von Zippy Tours durch das Viertel gelaufen. Laura ist dort aufgewachsen und kennt ihre Nachbarn. Wir haben uns zu jeder Zeit sicher gefühlt, würden aber trotzdem nicht dazu raten Nachts in dem Viertel rumzulaufen. Wenn du die Comuna 13 allein erkunden möchtest, empfehlen wir dir das am Vormittag zu machen.
Wir sind der Meinung, dass wir ohne die Tour mit Laura die Comuna 13 nicht so wahrgenommen hätten, wie wir es jetzt tun. Laura und ihre Geschichten haben uns sehr berührt, sind unter die Haut gegangen und haben noch sehr lange nachgehallt.
Laura nahm uns mit zu ihrem Haus und schilderte die Geschichte von da aus. Alles war sehr persönlich und tiefgründig.
Laura war für mich eine Person mit unglaublich viel Kraft und Hoffnung. Sie hat erst vor zwei Jahren Englisch gelernt und ihr ist es eine Herzensangelegenheit Touristen ihr Viertel zu zeigen. Sie hat sich wieder und wieder bedankt, dass wir hier sind und dass den Anwohnern dass unglaublich viel bedeutet. Noch vor ein paar Jahren hätte sich niemand erträumen lassen, dass einmal Touristen kommen, um mehr zu erfahren, um die Streetart zu bewundern und sich nicht vor der grausamen Geschichte abschrecken lassen.
Fazit? Wie fühlen wir uns danach?
Wir sind froh, dass wir da waren. Auch für uns war es eine Erfahrung, die nachhallt und noch jetzt bekommen wir eine Gänsehaut.
Das Viertel heute passt kaum zu der Geschichte von damals. Es ist nur schwer vorstellbar, wie grausam es gewesen sein muss und trotzdem bekommt man Dank der Erzählungen eine wage Vorstellung.
Am meisten haben uns jedoch die Anwohner fasziniert. Sie wollen nicht vergessen sonder verarbeiten. Da sie das Geschehe nicht ungeschehen machen können, feiern sie jeden Moment – egal wie klein oder groß. Sie lachen, scherzen und feiern den Frieden. Die Bewohner blicken nach vorne, sprühen vor Lebensfreude und haben all das auch ein wenig auf uns übertragen. Wir haben sehr viel Respekt vor soviel Optimismus und sind dankbar für diesen einzigartigen Besuch in der Comuna 13.
Eine Antwort
Danke für den Bericht zu Comune 13.
Ich habe das auch genauso empfunden und hatte Gänsehaut und war und bin noch tief berührt. So wie die Menschen mit ihrem Trauma umgehen können wir alle als Vorbild nehmen