Farmarbeit in Australien. Interessant, dachten wir. Ein bisschen Neugierde gepaart mit der Vorstellung von niedlichen Kälbchen brachte uns auf eine Farm mit Milchkühen (Dairyfarm).
Das diese Erfahrung unsere Denkweisen so extrem aufrütteln wird, hätten wir nie gedacht. Auch wenn uns jemand vor drei Monaten gesagt hätte, dass wir uns mal vegan ernähren werden, hätten wir den Kopf geschüttelt und wahrscheinlich gelacht.
Wie kam’s dazu?
Wir sind in Australien, um unsere Reisekasse aufzufüllen. Ein mehr oder weniger beliebter Job unter Backpackern ist die Farmarbeit. Auch für uns hat sich diese Möglichkeit ergeben und wir haben sie ergriffen. Nicht etwa weil die Bezahlung gut war, sondern viel mehr wegen der Erfahrung. Wir haben Milchprodukte, allem voran Käse, gern gegessen. Warum also nicht mal hinter die Kulissen blicken?
Unser Arbeitsalltag
Wir haben auf zwei unterschiedlichen Dairyfarmen gearbeitet, der Arbeitsalltag und die Erfahrungen waren aber nahezu identisch.
Um 3:00 Uhr Nachts begann unser Arbeitstag auf der ersten Farm. Wir sind mit dem Quad im stockdunklen zur Weide gefahren und haben die Kühe zur Melkanlage getrieben. Anschließend wurden von ca. 4:00 bis 8:00 Uhr Kühe gemolken. Erst die, die nicht schwanger sind, dann die Schwangeren und zuletzt die Kranken. Insgesamt haben wir hier 900 Kühe gemolken.
Nachdem wir die Melkanlage nach der ersten Schicht gereinigt hatten, konnten wir für eine 4-stündige Pause in unsere Unterkunft fahren, frühstücken und haben manchmal auch etwas Schlaf nachgeholt.
Um 14:00 Uhr ging es weiter. Alle 900 Kühe wurden erneut gemolken.
Auf der zweiten Farm wurden die Kühe sogar dreimal täglich gemolken. Diese Farm hatte ca. 1500 Milchkühe.
Doch wie funktioniert dieser Vorgang des Melkens eigentlich?
Nein. Wir haben nicht jede Kuh per Hand gemolken – das hast du dir wahrscheinlich schon gedacht. Die Kühe werden in eine Art Karussell getrieben. Direkt am Anfang des Karussells standen dann wir und haben die sogenannten “Cups” angelegt. In Deutschland nennt man das wohl “Zitzenbecher”. Diese Becher sind alle mit einer Vakuumpumpe verbunden und haften dadurch am Euter. Schließlich beginnt die Pumpe die Milch abzusaugen. Die Milch gelangt dann über Rohrleitungen direkt in den Milchtank, indem die Milch gekühlt wird, bis die schließlich von einem LKW abgeholt wird.
Eine Runde auf dem Karussell dauert ungefähr 8 Minuten. Die Kühe geben pro Melkvorgang jeweils ca. 20 – 50 Liter Milch.
Klingt alles hygienisch und wenig überraschend? Ja, in der Theorie vielleicht.
Die Realität
Kuhfladen – einfach immer und überall. Eine Kuh scheidet extrem viel Fäkalien aus. Damit hört sie auch nicht auf, wenn sie in der Melkanlage ist. Der Urin und die Kuhfladen sind gern auch mal auf den Zitzenbechern gelandet und werden dann aufgesaugt und gelangen in den Milchtank.
Ich, Julia, wurde mehrmals von Kühen angepinkelt oder ähnliches. Matthias blieb in drei Monaten komplett verschont.
Geben Milchkühe automatisch Milch?
Klar, wir alle wissen, dass die Milch von Kühen kommt. Und ja, wir wissen wohl auch, dass eine Kuh dafür gemolken werden muss.
Aber woher kommt die Milch? Warum geben Milchkühe ihr ganzes Leben lang Milch? Wurden sie so gezüchtet? Ist es eine besondere Rasse?
Nein! Es ist weder eine besondere Art Kuh noch wurden die Kühe so gezüchtet.
Der Grund warum eine Kuh Milch gibt, ist der Selbe wie bei Menschen. Die Kuh ist schwanger und die Milch ist für ihr Kälbchen bestimmt – eigentlich.
Eine Milchkuh wird ab ihrem zweiten Lebensjahr (ab da an ist sie geschlechtsreif) nonstop schwanger gehalten. Die Befruchtung erfolgt künstlich durch den Menschen. Die Kuh hat keine Wahl.
Neun Monate trägt die Mutterkuh ihr Kalb aus und sobald das Kalb geboren wurde, wird es der Mutter entrissen. Die Milch ist schließlich für den Menschen bestimmt und nicht für das Kalb. Kühe sind sensibel. Sie weinen tage – oder auch monatelang um ihr Kalb. Immer wieder rufen sie nach ihm. Sie machen einen geradezu traumatisierten Eindruck.
Nach der Geburt ist die Milchleistung am Höchsten. Sobald die Milchleistung wieder nachlässt, wird die Kuh erneut besamt. Der Vorgang wiederholt sich wieder und wieder.
Eine Milchkuh ist also fast ihr komplettes Leben schwanger. Jede Schwangerschaft ist eine Höchstleistung für die Kuh und mit der Milch, die ihr im großen Stil abgepumpt wird, wird ihr Lebensenergie geraubt.
Was passiert mit den Kälbern?
Die Kälber kommen in die Kalbsaufzucht und werden von Menschenhand aufgezogen – teils mit Ersatznahrung.
Die Kälber werden enthornt und gebrandmarkt. Ein schmerzhafter Prozess, der zu der eh schon schmerzhaften Trennung von der Mutter noch hinzu kommt.
Männliche Kälber sind ein Nebenprodukt und nutzlos für die Milchindustrie. Sie werden verkauft, um als Kalbfleisch zu enden. Mit jedem Glas Milch unterstützt man also auch die Kalbfleisch – Industrie.
Auf der zweiten Farm wurden die Gene der Kälbchen sogar getestet. Es wurden nur die Kälbchen behalten, die Proteine in ihrer Milch haben werden, die für den Menschen besser verträglich sind. Diese Milch lässt sich nämlich hervorragend vermarkten und anschließend auch teurer verkaufen. Kälbchen mit “normaler” Milch sind nutzlos.
Alltag einer Milchkuh
Ok nein, wir sind keine Kuhflüsterer und trotzdem kann man mit gesundem Menschenverstand ahnen, dass die Kühe leiden.
Viele von ihnen sind zu schwach, um zu laufen, einige brechen einfach kraftlos zusammen. Sie bekommen dann eine Infusion, die ihnen einen Energieschub verpassen soll. Hilft das nicht, werden sie von einem Traktor an der Hüfte hochgehoben und woanders hingelegt. Wenn die Kuh es nicht mehr schafft zur Melkanlage zu laufen, landet sie auf dem Truck. Erbringt eine Kuh nicht mehr genug Leistung oder wird nicht mehr schwanger? Auch dann landet sie auf dem Truck. Der Truck bringt die Kühe dann zum Schlachthaus. Dieses Schicksal steht jeder Kuh zuvor – früher oder später.
Die Kühe bekommen spezielles Futter, womit die Milchleistung maximiert werden soll. Dieses Futter hat allerdings auch zur Folge, dass Kühe eigentlich immer unter Durchfall leiden.
Mastitis ist eine oft vorkommende Krankheit bei Säugetieren, also auch bei Kühen. Es ist eine (teils schmerzhafte) Entzündung des Euters. Die Milch ist dann klumpig und gelb und sieht definitiv nicht so aus, als sollte sie verzehrt werden. Der Mastitistest wird allerdings nicht vor jedem Melkvorgang durchgeführt. Die Milch kann einmal pro Woche oder auch nur einmal pro Monat überprüft werden. Es ist gesetzlich festgelegt, wieviel Mastitis-Milch in den Umlauf und somit in den Verkauf gelangen darf. Trinkt mal also Milch oder konsumiert Milchprodukte nimmt man automatisch auch Blut, Eiter und weitere unappetitliche Sachen zu sich.
Hat eine Kuh zu oft Mastitis, ist das für sie das Todesurteil. Sie bringt keinen Gewinn mehr ein. Auch wenn eine Milchkuh nicht vorzeitig geschlachtet wird, ist ihre Lebenserwartung soviel geringer als die einer “normalen” Kuh. Statt 20 – 25 Jahre lebt eine Milchkuh in etwa nur 6 Jahre.
Das Bild von glücklichen Kühen, die auf der Weide grasen und mit ihren Artgenossen spielen, ist trügerisch. Diese Industrie ist schonungslos und maximal gewinnorientiert.
Was hat die Umwelt damit zutun?
Eins vorweg: Mit diesem Thema ließe sich ein ganzes Buch füllen. Hier möchten wir nur ganz kurz & knapp darauf eingehen und ein paar Fakten nennen, die uns persönlich sehr erschrocken haben.
- Eine Kuh kann bis zu 120 Liter Wasser pro Tag trinken und ca. 50 kg fressen. Also eine enorme Menge, die an Wasser und Futter bereitgestellt werden muss. So trinken Kühe 170 Milliarden Liter Wasser weltweit. Im Vergleich: Menschen trinken 19 Milliarden Liter Wasser weltweit.
- Mindestens 100 Liter Wasser werden für 1 Liter Milch benötigt. Für 450 Gramm Rindfleisch werden 9.463 Liter Wasser benötigt. Für eine Scheibe Käse werden ca. 100 Liter Wasser verbraucht.
- Die Viehzucht ist für 91 % der Zerstörung des Amazonas verantwortlich. Mit der Abrodung der Regenwälder sterben täglich bis zu 137 Pflanzen-, Tier- und Insektenarten aus und die Lunge unserer Erde wird erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Der Hauptgrund für diese Zerstörung ist vor allem der Futteranbau und die Viehzucht. Aktivisten, die dagegen kämpfen, leben gefährlich. In den letzten 20 Jahren wurden ca 1100 Aktivisten in Brasilien getötet.
- Über 90 % des weltweit angebauten Sojas und mehr als 50 % aller Ernten werden als Futtermittel genutzt. Das trägt neben der Umweltverschmutzung auch zum Welthunger bei.
- Viele Länder, in denen Hungersnot herrscht, produzieren einen Nahrungsmittelüberschuss – für die Nutztiere. Je mehr tierische Produkte wir essen, desto weniger Menschen werden wir ernähren können.
- In der USA werden Wildtiere getötet, um den Viehbestand zu schützen.
- Eine einzige (!) Milchkuh produziert pro Tag (!) fast 60 kg Abfall. Bei 1000 Kühen sind das 60.000 kg Abfall Tag für Tag.
- Ein Drittel unseres Planeten ist verödet und die Hauptursache ist auch hier die Viehzucht.
- Der Nutztierhaltung und deren “Beiprodukten” werden 51 % der ausgestoßenen globalen Treibhausgase zugeschrieben. Das sind mehr Treibhausgase, als der weltweite Verkehr (Autos, Flugzeuge, Züge, Schiffe) erzeugt (ca. 13 %).
Nachgedacht
Uns haben die drei Monate extrem geprägt. Es war eine Erfahrung, die wir nicht missen möchten. Wir sind dankbar für diesen, teils sehr heftigen, Blick hinter die Kulissen.
Wir haben die Kühe ins Herz geschlossen. Es sind liebenswerte, kluge und sehr sensible Tiere. Wusstest du, dass Kühe …
- einen 360 Grad Rundumblick haben und alle Farben (außer Rot) sehen können?
- Gerüche bis zu 10 km weit entfernt wahrnehmen können?
- enge lebenslange Freundschaften bilden und sich auch nach Jahren noch wieder erkennen?
- in unterschiedlichen Frequenzen “muhen” und auch mittels ihrer Kopf, – Gliedmaßen- oder Schwanzstellung miteinander kommunizieren?
Wir hatten sogar Lieblingskühe, die auf ihre morgendlichen Streicheleinheiten bestanden haben. 5058, wir haben sie Hilde genannt, war unsere liebste Kuh.
Kühe sind sanfte Wesen, teilweise sogar sehr schüchtern. Wir können einfach keinen “Grund” finden, warum wir sie für unseren kurzen Genuss ausbeuten sollten. Noch dazu ist die Milch für das Kalb bestimmt. Die Hormone und Wachstumsmittel sind dafür gedacht, ein kleines Kalb innerhalb kürzester Zeit zu einem ausgewachsenen Rind heranwachsen zu lassen. Wie kann das für uns Menschen gesund sein?
Umgedacht
Wir können einfach nicht mehr wegsehen und haben uns in der letzten Zeit intensiv mit dem Thema beschäftigt. Auf der Farm gab es viele Momente, in denen ich geweint habe. Ich konnte all die Situationen nicht verarbeiten, war schockiert und endlos traurig.
Wir erleben Tag für Tag, dass wir ohne tierische Produkte trotzdem lecker kochen können und uns absolut nichts fehlt. Ganz im Gegenteil: Uns geht es richtig gut.
Für uns fühlt sich dieser Weg richtig an. Diese Bilder haben sich in unseren Kopf gebrannt und schon allein deswegen können wir nicht so weitermachen wie bisher.
Dieser Beitrag soll allerdings lediglich unsere Sichtweise und unseren Prozess beschreiben. Es ist kein erhobener Zeigefinger irgendwo versteckt und wir wollen keineswegs belehren.
Wir finden einfach, dass man sich bewusst sein muss, woher das Fleisch und die Milch kommt. Mit jedem Einkauf treffen wir eine Entscheidung und diese sollten wir bewusst und mit Bedacht treffen. Wir sind sehr dankbar für diesen Anstoß, der uns zum nach- und umdenken angeregt hat.
Empfehlungen & Quellen
Auf Netflix & Youtube gibt es nicht nur gute Serien, sondern auch informative Dokumentationen zum Thema Umwelt & Veganismus.
“Cowspiracy” Diese Doku behandelt den Zusammenhang zwischen industrieller Tierhaltung und dem Klimawandel.
“What The Health” behandelt unterschiedliche Ernährungsformen und beleuchtet vor allem die gesundheitlichen Aspekte.
“Earthlings” ist heftig. Schlaflose Nächte sind vorprogrammiert und bei mir sind viele Tränen geflossen. (Gibt es auf Youtube)
“Dominion” beleuchtet die Industrie in Australien sehr gut und ist auf alle Industriestaaten übertragbar. Die Dokumentation ist brandaktuell, auf Youtube verfügbar und absolut sehenswert! Hinschauen statt wegschauen.
“Forks Over Knifes” beschäftigt sich mit den gesundheitlichen Aspekten verschiedener Ernährungsformen.
Der Youtube Kanal “Vegan ist ungesund” beleuchtet das ernste Thema auf eine witzige Art & Weise.
Obwohl wir uns auch in Deutschland gesund ernährt und nicht übermäßig Fleisch konsumiert haben, hätten wir den Schritt zur pflanzlich basierten Ernährung wahrscheinlich nicht so konsequent umgesetzt. Erst durch die Konfrontation haben wir uns intensiv mit dem Thema beschäftigt. Das war nicht bequem aber wichtig für uns. Wir haben viel Zeit mit Recherche verbracht, viel darüber geredet und Zeit gebraucht, die Zustände verarbeiten zu können. Gleichzeitig glaube ich, dass wir diese Zustände niemals vergessen können und es eine prägende Erfahrung für uns war.
Wie wird unsere “vegane Reise” weitergehen? In Australien ist es derzeit einfach. Es gibt etliche pflanzliche Alternativen und mit der App “Happy Cow” finden wir immer heraus, wo wir etwas Leckeres essen können. Sobald wir Asien bereisen, wird das sicherlich etwas anders. Wir wollen uns darauf einlassen und werden berichten.
Wir hoffen, dir mit diesem Beitrag einen kleinen Einblick in das Milchbusiness gegeben zu haben. Vielleicht hat es dich sogar zum Nachdenken angeregt? Wie denkst du darüber? Berichte uns gern davon. Wir sind gespannt!
2 Antworten
Hey ihr beiden! Matze hatte mir ja schon vor zwei Monaten geschrieben, wie es in den Kuhställen abgeht und wie sehr euch diese Eindrücke zum Nachdenken angeregt haben. Nun habe ich heute erst euren Artikel gelesen (sorry, dass ich solange nicht auf eurem Blog war 🙈😅) … Diese Zustände sind wirklich katastrophal. Und die Auswirkungen weittragend. Ich habe vor circa einem Jahr auch begonnen mich mit dem Thema zu beschäftigen und generell meine Ernährung zu überdenken. Ich esse zwar nicht vegan, aber überwiegend (90%) vegetarisch… Am Anfang viel es mir auch schwer die alten Routinen abzulegen und nach Alternativen zu suchen, aber es hat jede Menge Spaß gemacht zu experimentieren und neue Zutaten & Rezepte auszuprobieren.
Vielleicht inspiriert ihr mit eurem Beitrag auch andere zum Umdenken. Klasse! Macht weiter so! Liebe Grüße 😉
Hey Stefa, es ist verrückt – wenn man einmal anfängt sich damit zu beschäftigen, hat das so viele weitreichende Auswirkungen. Wir finden es toll, dass langsam ein Umdenken stattfindet. Unser Weg ist sicher nicht für jeden der Richtige. Wir finden es schon mega toll, wenn man sich einfach nur mit dem Thema auseinander setzt und bewusster konsumiert. Unsere “Reise” dahingehend macht uns auch total Spaß und wir sind überrascht, wie vielseitig die vegane Küche ist. Aber klar, wenn man sich 26 Jahre zuvor anders ernährt hat, ist so eine Umstellung schon erstmal mit zeitlichem Mehraufwand verbunden aber das pegelt sich ein 🙂 Danke für deinen lieben Kommentar – fühl dich gedrückt!